Posted May 9, 2012 · Report post Weite Sprünge, Balanceakte, Mauerüberwindungen, Präzis auf Stangen... Parkourtraining und Parkourvideos sind voll mit Situationen die so richtig wehtun können wenn dabei etwas schiefgeht. Alle die schon einmal praktisch mit Parkour in Berührung gekommen sind wissen, dass dahinter jahrelange Arbeit steckt und erst das Zusammenspiel von Körper und Geist diese Leistungen ermöglichen.Aber warum sich die ganze Sache antun, wo wir doch ohnehin in einer Gesellschaft leben, in der körperliche Fitness nicht essentiell zum Überleben beiträgt?Antworten gibt’s darauf sicher einige, ich möchte heute etwas genauer auf den Aspekt der Selbstwirksamkeit (also der Erfahrung, dass mein Handeln Einfluss auf mein Leben hat) schauen. Die folgenden Gedanken sind stark vom Risflecting©-Ansatz ( Rausch- und Risikopädagogik) beeinflusst, im speziellen durch die Arbeiten von Gerald Koller und Jürgen Einwanger. Wer mehr dazu erfahren will, dem kann ich aus vollstem Herzen das Buch „Mut zum Risiko“ (Jürgen Einwanger, gibt’s beim Alpenverein) und www.risflecting.at/index.htm empfehlen. Vieles davon, hat zu meinem Verständnis was Parkour so interessant und erfüllend macht maßgeblich beigetragen.Gefahr - Risiko - Sicherheit Gleich vorweg die schlechte Nachricht: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Punkt.Die gute ist jedoch: Wir können die Wahrscheinlichkeit, dass eine Situation zu unseren Gunsten ausgeht – also das Risiko - beeinflussen und damit ein gewisses Maß an individuell empfundener Sicherheit herstellen. Dazu eine kurze Definition:Gefahren sind von meinem Handeln nicht beeinflussbare Umstände. Beispielsweise das Wetter oder die Schwerkraft.Risiko bedeutet dass der Ausgang einer Situation unsicher ist und durch meine Handlungen beeinflusst werden kann.Sicherheit ist also etwas Subjektives, das es immer wieder herzustellen gilt und manchmal nicht viel mit der realen Bedrohung zu tun hat (Ein plakatives Beispiel sind Kokosnüsse und Haie: Während Haie als sehr gefährlich für die eigene Gesundheit erlebt werden und Entspannung am Palmenstrand als gesundheitsfördernd gilt, sterben jedes Jahr mehr Menschen an herabfallenden Kokosnüssen, als an Haien. (vgl. Die Zeit 13.11.2003))„Life is already a risk. Life is a permanent risk. […] So the trick is to be aware of it and live with it.“ (David Belle 2009)Das Leben konfrontiert uns permanent mit Dingen auf die wir keinen Einfluss haben, gleichzeitig können wir diesen Dingen jedoch mit Handlungen begegnen und sie sozusagen umgehen, bzw. dafür sorgen dass sie uns keinen Schaden zufügen.Am Beispiel des Wetters:Regen ist naß und macht Sachen rutschig (Gefahr). Das erhöht das Risiko auszurutschen. Dieses Risiko verringern wir, indem wir z.B. kürzere Sprünge machen.Bye, bye Sicherheit, hallo (Er-)LebenParkour hilft dabei, vom Konzept der absoluten Sicherheit Abschied zu nehmen und stattdessen den eigenen Einfluss auf den Ausgang von riskanten Situationen zu betonen – oder wie Danny Ilabaca sagte: „Choose not to fall“.Damit verbunden ist auch die Einsicht, dass es überhaupt nicht hilft Menschen in Watte zu packen und unter einen Glassturz zu stellen, damit ihnen ja nichts passiert. Im Gegenteil man schadet ihnen, indem ihnen permanent Entwicklungschancen verwehrt werden. Dazu gab's schon mal eine interessante Diskussion im Forum (http://community.parkour-vienna.at/topic/10494-kinderspielplaetze-risiko) SelbstwirksamkeitEtwas das mich bei Parkour von Anfang an fasziniert hat, war die Möglichkeit Risikosituationen zu bewältigen und darin besser zu werden. Während die Welt um uns immer „sicherer“ gemacht wird und immer weniger aktive Entscheidungen von uns verlangt, bieten Parkour einen Lebensbereich, in dem ich sehr unmittelbar erfahren kann ob etwas hinhaut oder nicht – das „oder nicht“ ist dann meist mit kleineren Blessuren verbunden ;-)Etwas abstrakter gesprochen: hier kann ich meine Selbstwirksamkeit sehr direkt erfahren. Das was jeder Traceur und jede Traceurin während des Trainings macht, ist Gefahren mit aktiven Handlungen zu begegnen. Er/Sie geht mit den vorhandenen Gefahren auf eine Weise um, bei der die eigenen Handlungen maßgeblich für den Ausgang der Situation sind. Der gewählte Weg ist dann der richtige wenn er den eigenen Fähigkeiten (körperlich & mental) entspricht und daher bewältigbar ist.Um das zu schaffen, setzen Traceure & Traceurinnen unterschiedliche Risikostrategien ein. Diese können langfristig sein (z.B. regelmäßiges Training) oder direkt in der Situation erfolgen (z.B. auf den Absprung fokusieren).Der Ohnmacht entgegenstehenEin großes Problem in unserer Gesellschaft ist das Gefühl der Ohnmacht. „Kann ma nix machen“ „Ob ich da bin oder net macht kan Unterschied“ „Mir is fad“ sind Phrasen die mir immer wieder begegnen. Einerseits deuten sie auf einen Mangel an adäquaten Herausforderungen hin, andererseits steckt die Enttäuschung darüber dass die eigenen Handlungen nichts ändern darin. Um uns entwickeln zu können brauchen wir aber Herausforderungen und ein gewisses Feedback ob unsere Handlung jetzt angemessen war oder nicht – ohne Rückmeldung bleibt das ganze ein ewiges Rätselraten. An manchen Tagen sieht es so aus als wäre nur die Wahl zwischen Unter- und Überforderung möglich. Genau das bietet den Nährboden für viele sogenannte „Wohlstandskrankheiten“ die Psyche und Körper zerstören können.Parkour bietet wie oben erwähnt ein geniales Übungsfeld um dieser Ohnmacht nicht anheim zu fallen. Wir haben alles was wir zur Entwicklung brauchen:unterschiedliche Herausforderungen die wir gemäß unserer Fähigkeiten wählen könnendie Möglichkeit es nochmals zu versuchen und Risikostrategien zu optimiereneine direkte Rückmeldung darüber wie die Situation bewältigt wurdeUm die lange Rede kurz zu fassen:Mit Parkour liegt vor uns ein unbezahlbarer Schatz der uns nicht nur körperlich sondern auch geistig gesund hält– Selbstbestimmung, eine unendliche Vielfalt an Herausforderungen und die Möglichkeit aus Fehlern zu lernen....and now: go out and enjoy ;-)martin rocket66, cyberwolf, TOM and 3 others like this Share this post Link to post
Posted May 10, 2012 · Report post danke für diese einsicht meine meinung zu der thematik:ich hätte gedacht, dass ich mich (wissentlich) garnicht so viel mit risiko und verletzungsgefahr auseinander setze... aber wenn ich genauer darüber nachdenke, eigentlich schonich denke, ich kann inzwischen relativ gut einschätzen was ich kann und was nicht... mich hat's dafür auch oft genug "aufgelegt"... aber eben ohne schlimmere blessuren, weil ich gelernt habe, es immer in kleinen schritten zu steigernich habe bei mir feststellen können, dass ich bei "schwierigeren" sachen/sprüngen, immer vorher ein paar "exit-strategien" im kopf durchgehe... wie reagiere ich wenn ich zu kurz/lang komme, wo könnte ich hängen bleiben und wie rette ich mich aus der situation... im endeffekt kommt es meistens eh ganz anders, aber mir gibt es einfach ein sicheres gefühl, ein paar varianten bereits im vorhinein durchgedacht zu haben.weiters ist es auch immer wieder ein komisches gefühl, wenn ich von leuten höre (oder sehe), dass es sie bei relativ "simplen" sachen böse auflegt... sachen die man selbst schon x-mal gemacht hat... ich finde es einen wichtigen part, nicht nur aus eigenen, sondern auch aus fehlern von anderen zu lernenaber wie gesagt... es gibt einfach keine absolute sicherheit, aber wir können mit diesem training und dieser lebenseinstellung viel (er)lernen, um damit sicherer und selbstbewusster umgehen zu können Dominik Simon and soaralebradia like this Share this post Link to post
Posted May 10, 2012 · Report post Verdammt gute Betrachtung(en) Martin!Die Antworten auf die Frage "Wozu Parkour?" sind vielfältig - die Beweggründe warum wer mit Parkour beginnt und warum / wie wer trainiert sehr differenziert. Der Risiko/Sicherheitsaspekt spielt für mich eine große Rolle - altersbedingt, wie ich annehme, aber wahrscheinlich auch mentalitätsabhängig.Wenn man die Jugend(kultur) betrachtet, denke ich, ist es ein Hin-und-Her zwischen "Gib Gas, ich will Spaß" und "Laissez-faire" ...Parkour bietet sicher eine Möglichkeit, feedback über den eigene psychischen und physischen Zustand zu erlangen. Allerdings, müssen die Signale (richtig) verstanden und umgesetzt werden. Das ist der Weg, den jeder für sich gehen muss. Es ist ein langer Weg. Das ist der Weg des Parkour. Greetz Rocket cyberwolf likes this Share this post Link to post
Posted May 11, 2012 · Report post sehr gut auf den punkt gebracht. selbstwirksamkeit ist eine wichtige und durch parkour sehr direkt erlebbare erfahrung. deshalb versuch ich immer, jugendliche dazu zu überreden, mit mir parkour zu trainieren. die meisten schaffen am anfang gleich mehr, als sie sich zugetraut hätten - eine essentielle erfahrung vor allem bei meiner klientel. (ein weiterer essentieller aspekt für sie ist die eigenverantwortung.)ich selbst setze mich sehr bewusst mit risiken und im verhältnis dazu mit meinen kompetenzen auseinander. zum teil aus erfahrung (böse fersenprellung), zum teil - wie bei rocket - mentalitäts- und wohl auch altersbedingt: meine körperliche integrität garantiert, dass ich laufend trainieren kann, ich bin kein adrenalin-junkie und ja, mit dem alter werde ich vernünftiger... daniel ilabaca hat einmal in einem interview gesagt, er wäre in seinem leben noch nie ein risiko eingegangen. ich glaube ihm das, auch wenn ich kaum glauben kann, was er manchmal so treibt. martin likes this Share this post Link to post
Posted May 12, 2012 · Report post daniel ilabaca hat einmal in einem interview gesagt, er wäre in seinem leben noch nie ein risiko eingegangen. ich glaube ihm das, auch wenn ich kaum glauben kann, was er manchmal so treibt.kann mich an den quote jetzt nicht erinnern, aber klar... für jeden liegt die subjektive "risiko-schwelle" wo anders. Danny fühlt sich bei vielen Dingen sicherlich sicherer, als Andere.... und er wird das/sich gut einschätzen können Share this post Link to post
Posted May 12, 2012 · Report post genau das hab ich gemeint. bei dem was er macht, fühlt er sich bzw. ist er so sicher, dass das risiko, das er eingeht, tatsächlich gering ist. auch wenn man es kaum glauben kann. (in diesem zusammenhang ist auch free solo klettern interessant).ich denke, er hat das in einem parkour-tour video gesagt... vielleicht finde ich es. Share this post Link to post
Posted May 12, 2012 · Report post "Gefühl der Ohnmacht....Einerseits deuten sie auf einen Mangel an adäquaten Herausforderungen hin..."Letztens habe ich im Bhf Wien Praterstern eine Volksschulgruppe beobachtet. Brav in Zweierreihe sind sie der Lehrerin hinterher gegangen, zu den Stufen, wo sie sich in zwei Reihen aufgespalten haben, eine links am Stiegengelände, die andere rechts, und somit beim hinabsteigen immer brav anhalten mussten. Zusätzlich trugen sie Warnwesten.Das Bild hat mich schockiert, denn wird unseren Volksschulkindern nicht mehr zugetraut Stufen zu steigen?!?! Wenn ihnen diese Herausforderungen im Alltag genommen werden, wie sollen sie sich zutrauen ihre Umgebung aktiv wahrzunehmen???Ich liebe Parkour, weil ich davon fasziniert bin, zu welcher Leistung der menschliche Körper fähig ist. Mir wird bewusst, wie oft wir uns selbst unterschätzen. Mir hilft, zu überlegen, was das Schlimmste ist, das passieren kann, wenn ich den Sprung nicht schaffen sollte. Dabei wird mir bewusst, dass es harmlos ist und man die Dinge einfach ausprobieren muss.Die Selbstwirksamkeit ist bei Parkour stark vertreten. Ich weiß, wenn ich etwas erreichen will, dann muss ich an mir arbeiten. Von alleine wird sich nichts ändern, nur ich bin dafür verantwortlich meinen Körper die Herausforderung zu geben die er braucht um zu wachsen um größeres zu leisten. cyberwolf, TOM and martin like this Share this post Link to post
Posted May 12, 2012 · Report post hier ist es, ich hatte es etwas anders in erinnerung. zu sehen/hören ab 01:56: Share this post Link to post
Posted May 13, 2012 · Report post Guter Artikel Martin!Ohne nen Artikel zu verfassen!Kurz: Psychologisch betrachtet was man gar nicht bewusst wahr nimmt ist es dies--->Suche nach Identität,(selbst) Anerkennung, Selbstverwirklichung, Spaß daran und soziale kontakte pflegen/genießen! Share this post Link to post