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Tatze

Honorargestaltung & Künstlergagen

Ich möchte auf einen interessanten Blogeintrag hinweisen, den ein bekannter Tänzer der österreichischen Bboy-Szene verfasst hat. Ich denke man kann diese Tänzerperspektive analog für unsere Parkourperspektive übernehmen.

 

 

The Rip-Off : Verschobene Wahrnehmung von Künstlergagen…


Ein sehr kontroverses Thema, welches nicht nur in unserer Szene präsent ist sondern alle freischaffenden Künstler betrifft, sind Gagenvorstellungen von den Künstlern selbst und die Wahrnehmung von Kunden bezüglich eben jener. Heute will ich versuchen, ohne zu viele Fachbegriffe aus der Finanzwelt, zu erklären, wie sich unsere Gagen zusammensetzen. Oft haben Kunden das Gefühl sie bezahlen aberwitzige Stundensätze ohne jedoch darüber nachzudenken, was sie eigentlich genau bezahlen.

Meine Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sollte aber dennoch reichen um die verschobene Wahrnehmungen von unseren Gagen etwas ins rechte Licht zu rücken.

Das hier bezahlt ein Kunde wenn er einen Auftritt bucht:

  1. Krankenversicherung, Unfallversicherung und Pensionskasse (Betrag vorgeschrieben von der SVA, man geht überschlagsmäßig von 30% aus)

  2. Einkommenssteuer (vorgeschrieben vom Finanzamt, je nach Einkommen zwischen 36,5% und 50% ab einer Einkommensgrezne von 11.000,- jährlich)

  3. Umsatzsteuer (20% Aufschlag ab einer Umsatzgrenze von 30.000,-. Firmen können sich diesen Betrag vom Finanzamt gutschreiben lassen und spüren ihn so nicht, Endverbraucher hingegen müssen bezahlen)

  4. Zusatzversicherungen, die man als Tänzer haben sollte: Rechtsschutz im Falle von Vertragsschwierigkeiten, private Unfall die einen Teil des Verdienstausfalles abfängt wenn man sich ernsthaft verletzt, Gesundheitsvorsorge die sich um Physiotherapie und ähnliches kümmert um das Verletzungsrisiko zu minimieren.

  5. Miete für Trainingsräume

  6. Anteilige Trainingszeit

  7. Kosten für Fortbildungen

  8. optional Kosten für Musik (im einfachsten Fall Musikschnitt oder die Anschaffung des Liedes, im Extremfall Komposition und Audioengineering)

  9. optional Reisekosten zum und vom Auftrittsort

  10. optional Verpflegung

  11. optional Unterkunft vor Ort

  12. optional Werbekosten

  13. optional Kosten für Verbrauchsmaterialien (Schuhe und Klamotten gehören bei uns hier hinein)

  14. die eigentliche Gage für den Auftritt

Und das hier glaubt der Kunde, dass er zahlt:

  1. Auftrittzeits zwischen 5 Minuten und mehreren Stunden (abhängig von der Art der Performance)

Diese Aufstellung ist zwar stark vereinfacht, sollte aber verdeutlichen warum Künstlergagen allgemein sind, wie sie eben sind. Als Freischaffender muss man sämtliche Kosten die ein regulärer Arbeitnehmer nicht spürt weil sie vor Auszahlung des Gehalts abgezogen werden, selbst bezahlen und deshalb vom Kunden bezahlen lassen.

Als Beispiel: 100 Euro pro Show und Person gelten für viele Leute als unterstes Limit.

Einfaches Rechenbeispiel: 100 Euro abzüglich 30 Euro für die SVA abzüglich 36,50 Euro fürs Finanzamt minus 3 Euro für die privaten Zusatzversicherungen = 30,50 Euro für die Show. Davon muss ich noch Trainingsräume, Trainingszeit, Fortbildungen, Musik, meine Miete, Betriebskosten, Essen, Fahrtkosten zur Show und zu den Trainings zahlen.Reaktion Kunde: 100 Euro für 5 Minuten Herumgehüpfe? Bist deppat?

Und weg ist er, der kreative junge Tänzer der vielleicht Einiges zu sagen gehabt hätte in der nationalen und internationalen Tanzszene.Reaktion Tänzer: 31 Euro für eine Show? Wir haben 3 Stunden trainiert und  mussten 1 Stunden hin und zurück fahren. Das sind ja nur 6,20 Euro pro Stunde. Da geh ich lieber als Kassierer zum Hofer.

HINWEIS: Die Berechnung an sich ist nicht 100% akurat, da nicht alle Abgaben direkt vom Umsatz abgezogen werden und das ganze ENORM vereinfacht ist. Als faires Anschauungsbeispiel kann es dennoch herangezogen werden.

 

[FraGue Moser, Blogeintrag des Blogs "stop posing...start being", 12.Mai 2013]

 

 

Im nächsten Blogeintrag werden Gründe für die Unterbezahlung näher erläutert. Ich habe diese etwas umgeschrieben um den Bezug zu Parkour/Freerunning hervorzuheben:

 

 

"(D)ie meisten sind selbstverschuldet."

  1. Es gibt Viele die veruschen Geld verdienen, aber nicht beim Finanzamt gemeldet sind. Sie versteuern ihr Honorar nicht und brauchen, da sie auch anderwertig Geld verdienen (reguläre Jobs), nichts für Versicherungen und Steuern abzuziehen. Diese Leute können also eine geringere Gage einstecken und verdienen dabei meist noch mehr als Leute die versuchen ihrem Beruf "offiziell" nachzugehen. Dass die Mehrzahl der in Österreich Aktiven ihre Jobs so ‘schwarz’ abwickeln, geht zu Lasten der wenigen ‘echten’ Berufsathleten die mit den niedrigen Preisen nicht mithalten können.

  2. Mangelndes professionelles Auftreten. Ein großes Problem ist, dass der Wert von Leistungen und Produkten nicht mehr daran gemessen wird wie viel Zeit, Wissen und Können in dem Produkt steckt sondern daran wie viel Geld, Zeit und Wissen in der Vermarktung desselben aufgewendet wurde.

  3. Mangelndes ‘Drumherum’. Wenn Künstler es versäumen sich innerhalb des Marktes an passender Stelle zu positionieren (nicht jeder ist für jede Position geeignet), Werbung und Imagebildung versäumen, schlecht erreichbar oder unzuverlässig sind oder wie ein Haufen Gangster auftreten, braucht man sich nicht wundern wenn man als Geschäftspartner nicht ernst genommen wird.

  4. Die Notwendigkeit die Jobs zu machen, auch wenn die Gage eigentlich nicht passt. Für die meisten Leute stellt sich die Frage gar nicht, ob man einen Job wegen geringer Bezahlung sausen lassen kann. Wer nicht durch einen regulären Job oder anderweitig subventioniert ist, braucht unter Umständen jedes bisschen Kohle um über die Runden zu kommen. Gerade in Österreich gibt es Jobs nicht wie Sand am Meer.

  5. Viel zu viele Leute gehen in die Öffentlichkeit ohne bereit dazu zu sein. Jede schlechte Show die irgendwo gezeigt wird schadet unserem Ansehen in der Gesellschaft. Gleiches trifft auf jede arrogante Aussage zu, jedes Diva/Machogehabe und jedes Businesstreffen in das wir unvorbereitet gehen.

Auch diese Liste erhebt keinen Ansrpuch auf Vollständigkeit.

 

 

Mögliche Lösungvorschläge:

 

  1. Preisabsprachen. Gute Sache aber eigentlich illegal – daher nicht anwendbar – und nur dann wirksam wenn alle mitspielen. Eine Mindestgage zu vereinbaren die keiner unterbietet hätte aber auf jeden Fall Sinn. Erübrigt sich aber sobald dann irgendwer aus Oberhintertupfing sich nicht daran hält und dafür alle Jobs abgreift. Außderdem handelt es sich nur um Symptombekämpfung.

  2. Level der Darbietungen, professionelles Auftreten, Marketing, … verbessern um sich selbst besser zu positionieren. Funktioniert definitiv um den eigenen Stand zu verbessern. Es gibt Leute (wenn auch wenige), die damit erfolgreich sind und es ist eine Option die Jedem offen steht.

  3. Finde die eigene Nische im Markt.

  4. Aufklärungsarbeit. Die Öffentlichkeit muss über das selbständige Künstlerleben Bescheid wissen um zu verstehen was sie bezahlt. Hier sind wir alle gefragt. Die Frage warum das denn so teuer sei, muss auf alle Fälle sachlich, seriös und kompetent beantwortet werden. Hier unsicher zu wirken ist eine Katastrophe!

  5. Politische Arbeit.

Die Punkte 4 und 5 geschehen nicht von selbst. Wieder einmal wären wir selbst gefragt, aber diese Tätigkeiten können sehr zeitraubend und anstrengend sein.

 

[FraGue Moser, The Rip-Off II -Behind the scenes, Blogeintrag des Blogs "stop posing...start being", 18.Mai 2013]


 

    - http://www.frague.at/ -



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Danke Tatze

 

Sind wohl noch nicht viele in die Situation gekommen, aber wenn dann ist es sicher hilfreich sich schon einmal damit beschäftigt zu haben und wissen was man wert ist.

 

Verkauft Euch nicht unter Wert, das ist meine Kern-Aussage

 

btw. habe den Post zu einem Artikel promoted - wenn sonst noch wer so netten Content bringen will, nur her damit :]

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